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Die Wirkung sozialer Bewegungen

Gegenstück zur Systemtheorie, in welcher Individuen keinen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung haben.

1. Theoretische Grundlagen

1.1 Problemwahrnehmung in der modernen Gesellschaft

  • Früher: Religion war Bindeglied des gesamten sozialen Lebens → später haben sich Teilsysteme (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft etc.) vom Einfluss der Religion losgelöst und eigene Operationssphären gebildet
  • Teilsysteme betrachten Ereignisse nur aus eigener Perspektive Kommunikation durch binäre Codes → jeder Code kennt nur seinen Gegenwert → Entkoppelung der Teilsysteme
  • Teilsysteme sind somit nicht in der Lage Folgeprobleme der Modernisierung in einer für die ganze Gesellschaft verbindlichen Weise wahrzunehmen.

1.2 Die Beobachtungsform sozialer Bewegungen

  • Selektive Wahrnehmung und fehlende Verknüpfung zwischen einzelnen               Teilsystemen führen zu eingeschränkter Wahrnehmung von Problemen →             Protestbewegungen
  • Protestbewegungen bestehen aus zwei Teilen: Protestierende als                         Repräsentanten der Gesellschaft (stellen Peripherie dar); Adressaten als               Auslöser des Problems (stellen Zentrum dar)
  • Erfolg von Protestbewegungen durch drei Dimensionen geprägt:
    1. Sachdimension: für Individuen konkreter und alltagsnäher es fehlt jedoch Differenzierungsvermögen
    2. Zeitdimension: flexibler
    3. Sozialdimension: spezifische Form der Betroffenheit → soziale Bewegungen nehmen Perspektive ein, welche für Teilsysteme unsichtbar ist

1.3 Lernen durch Protest?

  • Konflikte mit Beteiligung von Protestbewegung haben hohes Potenzial für             gesellschaftlichen Lernprozess → funktionale Differenzierung des                         Bewegungssektors, zunehmende Professionalisierung und Erfindung von             neuen Protestformen
  • 3 Stadien eines Konflikts:
    1. unkoordinierte Konflikte – Parteien nicht einig über Art des Konfliktes
    2. koordinierte Konflikte – Parteien können gemeinsame Streitpunkte identifizieren aber nur minimale Verständigung erforderlich
    3. Konsensfindung – Konflikt wird in Konsens überführt

 

2. Nach den „neuen“ sozialen Bewegungen?

2.1 Betroffenheit, Anspruch und Identität in der Moderne

  • Früher: Optionen eines Individuums an sozialen Stand gebunden                 Heute: Bewegen in 2 Welten (1. Instrumentelles Handeln, 2. kulturelle Identität) → Bindeglied zwischen Person und Teilsystemen sind Ansprüche → Individuen definieren sich über Ansprüche an Gesellschaft

2.2 Konflikte im Zeitalter des Nationalstaats

  • Individuen wurden mehr Teilhabemöglichkeiten eingeräumt dadurch verloren sie Bindung zu traditionellen Ligaturen
  • traditionelle „Klassenwelten“ lösen sich langsam auf und individuelle Wertvorstellungen gewinnen an Wichtigkeit

2.3 Konflikte in der globalisierten Moderne

  • Konflikte über teilbare Güter meist kompromissbereit
  • Konflikte über nicht-teilbare Güter schliessen Kompromisse aus und ermöglichen kollektive Handlungen → neue soziale Bewegungen leiten Ansprüche nicht mehr aus Zugehörigkeit zur (nationalstaatlichen) Gesellschaft ab, sondern aus kollektiver Verschiedenheit

2.4 Das Subjekt als Retter?

  • Streben nach individueller Selbstbestimmung hindert Lernprozess → Gleichheitsanspruch leitet sich nicht mehr aus gemeinsamen Wertvorstellungen ab, sondern aus alleinigem Streben nach Einzigartigkeit
  • Soziale Bewegungen spielen weiterhin eine zentrale Rolle bei der Bildung der Gesellschaftsordnungen → schliesst aber nicht aus, dass mögliche Demokratisierungen der Weltgesellschaft ebenso von systemischen Eigendynamiken und strukturellen Bedingungen abhängig sind

 

3. Arabischer Frühling in Ägypten

3.1 Fakten

  • Was wurde eingefordert? Bessere Arbeitsbedingungen, politische Reformen, Pluralität, Meinungsfreiheit, garantierte Grundrechte, demokratische Wahlen
  • Wer waren die Protestträger? junge, gut ausgebildete Ägypter (unabhängig von politischen Richtungen) → später kam Beteiligung aus sämtlichen Gesellschaftsschichten (linke, bürgerliche, säkulare, Christen und Muslime ausser Muslim Bruderschaft)
  • Mobilisierung fand hauptsächlich durch soziale Netzwerke (z.B. Twitter und Facebook) statt

3.2 Parallelen zur Theorie

  • Teilsystem Politik in Ägypten sehr autoritär → Machtmonopol schwierig angreifbar deswegen kein Interesse an gesellschaftlichen Problemen → Protestbewegung entwickelt sich
  • 3 Dimensionen deutlich erkennbar
  • Lernprozess in dem Sinne positiv als dass neue Mobilisierungsformen genutzt wurden und Gemeinschaftssinn in der Bevölkerung zwischen verschiedenen Gruppierungen gestärkt wurde
  • 3 Phasen eines Konflikts nicht durchlebt, blieb in Phase eins stecken → keine konkrete Strategie auf Seiten der Demonstranten und kein Entgegenkommen auf Seiten der Regierung
  • Obwohl die Revolution in Ägypten vor wenigen Jahren stattfand würden wir sie nicht als Konflikt in der globalisierten Moderne betrachten → Forderungen gleichen eher den Protestbewegungen im Zeitalter der Nationalstaaten im Westen

 

Literatur:

http://www.spiegel.de/politik/ausland/arabischer-fruehling-ein-tag-des-zorns-fuenf-jahre-enttaeuschung-a-1073451.html; Stand: 25.09.17

https://de.wikipedia.org/wiki/Revolution_in_%C3%84gypten_2011; Stand: 25.09.17

Kern, Thomas (2008): Soziale Bewegungen – Ursachen, Wirkungen, Mechanismen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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